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Der deutsche Liberalismus

Ideenwelt und Politik von den Anfängen bis zur Gegenwart

Erschienen am 25.06.2019, 1. Auflage 2019
Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783957682079
Sprache: Deutsch
Umfang: 866 S., 19 s/w Illustr.
Format (T/L/B): 6.1 x 24.6 x 17 cm
Einband: gebundenes Buch

Beschreibung

Die Gedankenwelt des Liberalismus erwuchs während der schweren inneren Auseinandersetzungen in England in der Mitte des 17. Jahrhunderts. Wenig später gab es auch in Deutschland erste Stimmen dazu. Ab 1720 legten dann viele Autoren das liberale Konzept dar, es hatte um 1800 eine breite Resonanz. Als Deutschland nach den Kriegen Napoleons neu geordnet wurde, geschah das nicht im Sinne der Liberalen, sie konnten ihre Ziele erst in jahrzehntelangen Kämpfen weitgehend durchsetzen. 1867/71 war das erreicht. In dem folgenden Menschenalter waren sie die relativ stärkste politische Kraft in Deutschland, dann verloren sie an Gewicht. Sie hatten sich gleichsam totgesiegt, ihre Grundideen waren weithin rezipiert worden. In der Weimarer Republik büßten sie ab 1930 das Vertrauen der Wählerschaft fast ganz ein, 1932 waren sie nur noch eine Splitterpartei. Am Widerstand gegen die NS-Diktatur nahmen auch Liberale teil. Nach deren Ende entstanden in allen deutschen Ländern wiederum liberale Parteien, in den West­zonen schlossen sie sich im Dezember 1948 zur Freien Demokratischen Partei zusammen. In den 70 Jahren seither waren die Liberalen eine politische Kraft zweiten Ranges, zeitweilig als Regierungspartei, zeitweilig als Opposition. Hans Fenskes brillante Darstellung geht dem langen Weg der deutschen Liberalen durch mehr als drei Jahrhunderte nach. Zunächst spricht Hans Fenske über Wegbereiter des Liberalismus und seine Grundlegung in England im 17. Jahrhundert und führt dann mit großer Anschaulichkeit im Detail von den ersten Darlegungen des liberalen Konzepts in Deutschland bis zum Dezember 2018, als die FDP in Heppenheim das Gedenken an ihre Gründung 70 Jahre zuvor ­beging. Das umfassende Werk bietet eine erste große historische Gesamtschau der Ideenwelt und Politik des deutschen Liberalismus.

Autorenportrait

Hans Fenske, geboren 1936 in Geesthacht, 1956 bis 1963 Studium der Geschichte, der Politischen Wissenschaft und der Geografie in Tübingen und Freiburg, Promotion 1965, Habilitation für Neue und Neueste Geschichte 1971 in Freiburg, 1963 bis 1971 Wissenschaftlither Assistent an der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer und bis Ende 1972 am Auslands- und Dolmetscherinstitut Germersheim. 1973 bis 1977 Universitätsdozent und danach bis 2001 Professor für Neue und Neuste Geschichte an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Hauptarbeitsgebiete: Deutsche Geschichte vom späten 18. Jahrhundert bis zum Ende der Weimarer Zeit, vergleichende Verfassungsgeschichte, Geschichte der politischen Ideen, Landesgeschichte Südwestdeutschlands. Von den Buchveröffentlichungen seien genannt: Konservativismus und Rechtsradikalismus in Bayern nach 1918 (1969), Wahlrecht und Parteiensystem (1972), Der liberale Südwesten (1981), Die Verwaltung Pommerns 1815-1945 (1993), Deutsche Parteiengeschichte (1994), Deutsche Geschichte. Vom Ausgang des Mittelalters bis heute (2002), Preußentum und Liberalismus (2002), Freiherr vom Stein (2012), Der Anfang vom Ende des alten Europa. Die alliierte Verweigerung von Friedensgesprächen 1914-1919 (2013), Auf dem Weg zur Demokratie. Das Streben nach deutscher Einheit 1792-1871 (2018).

Leseprobe

I. Zum Begriff des Liberalismus Die Gedankenwelt des Liberalismus war in Europa und Nordamerika seit dem späten 18. Jahrhundert eine Kraft von außerordentlicher Bedeutung. Es ging dabei nicht nur um die politische Ordnung im engeren Sinne, der Liberalismus war stets mehr als eine Verfassungsbewegung. Da es sich bei ihm um eine breite gedankliche Strömung handelte, lässt sich nur schwer in eine kurze Formel bringen, was der Begriff meint. Er 'steht im einfachsten Sinne für diejenige politische Grundhaltung, für die Freiheit der zentrale Dreh- und Angelpunkt des Menschen- und Gesellschafts­bildes ist', hieß es jüngst an repräsentativer Stelle.1 Seine tragende Idee ist, dass die Menschen von Natur aus nach Freiheit und Selbstbestimmung streben, dass eine vernünftige gesellschaftliche Ordnung ihnen ein gebührendes Maß an Freiheit und die Möglichkeit des Mitentscheids über alle wesentlichen Fragen von allgemeinem Interesse geben muss und dass die Verfolgung des individuellen Nutzens zugleich der Gesamtheit und deren Fortschritt dient. Der Begriff des Liberalismus setzte sich in Deutschland im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts durch. Das Adjektiv liberal war den gebildeten Deutschen schon im 18. Jahrhundert gut vertraut. Es bedeutete: eines freien Mannes würdig, freimütig, offenherzig, anständig, freigebig und vorurteilsfrei. In diesem zuletzt genannten Sinn benutzte der ­bedeutende Theologe und Bahnbrecher der historisch-kritischen Methode in der ­Bibelwissenschaft Salomo Semler ab 1765 die Wörter liberal und liberalis häufig in seinen Veröffentlichungen. In den Auseinandersetzungen, zu denen seine Arbeitsweise den Anstoß gab, fasste Semler seine Gegner als 'alte Partei' zusammen, während diese ihre Opponenten ­Freipartei nannten. Ein Teilnehmer an der Diskussion bezeichnete Semler und ­seine Anhänger schließlich als 'die Liberalen'.2 Dieser Begriff blieb freilich auf den theologischen Diskurs beschränkt. Ab etwa 1780 wurden die bis dahin dem vorpolitischen Bereich ange­hörigen Wörter liberal und Liberalität allmählich auf den politischen Bereich übertragen. Der Publizist Wilhelm Ludwig Wekhrlin nannte 1786 die freisinnige Gedankenrichtung Libertismus, fand damit aber ­keine sonderliche Resonanz. Zur Zeit der Französischen Revolution wurde für die gemäßigt fortschrittlichen Kräfte die Sammelbezeichnung ­Moderatism oder feiner Demokratismus verwendet. Die Politisierung des Wortes liberal wurde nachhaltig dadurch gefördert, dass gegen Ende der 1790er-Jahre in Frankreich der Ausdruck idées liberales als ganz selbstverständliche Bezeichnung für die politische Gedankenrichtung der ­Mitte benutzt wurde. Das wurde in Deutschland bald von der Publi­zistik und auch im privaten Sprachgebrauch übernommen. Im Jahre 1815 stellte der Jurist und Historiker Johann Christoph von Aretin in der Zeitschrift Neue Allemannia die Frage 'Was heißt liberal?' und beantwortete sie dahin, 'liberal' sei ein politischer Grundsatz, der die freie Entwicklung der Geisteskräfte begünstige, die öffentliche Freiheit sichere, die Rechte der Bürger gegen Willkür schütze und das allgemeine Beste fördere. Eine liberale Regierung sah er dadurch gekennzeichnet, dass sie diesen Prinzipien folgend handelte. Die liberalen Ideen, so trug er weiter vor, seien allen guten Köpfen und rechtschaffenen Menschen gleichsam angeboren, und es sei Aufgabe der Regierungen, sie allgemein zu machen. Das Substantiv Liberale kam gleichzeitig auf. Es wurde aus Spanien entlehnt. 'Liberales nannte man in Spanien seit der Restauration diejenigen, welche eine freie Staatsverfassung im Gegensatz gegen den bisherigen bürgerlichen und geistigen Despotismus einzuführen gesucht hatten', so erfuhr man im 1817 vorgelegten fünften Band der 1798 begründeten und 1808 von Friedrich Arnold Brockhaus erworbenen Allgemeinen deutschen Realencyclopädie. Das Lexikon gab zudem eine Übersetzung: Freiheitsfreunde.3 Im anschließenden Artikel 'Liberalität, liberale Ideen', der die Gedankenwelt des Liberalismus knapp zusammenfasste, kam die Bezeichnung 'die Liberalen' noch nicht vor. Liberalität habe ursprünglich den Freisinn oder die eines freien Mannes würdige Denkart und Handlungsweise bezeichnet, werde neuestens aber auch auf das bürgerliche und kirchliche Leben bezogen, so las man hier. 'Die sogenannten liberalen Ideen sind daher keine anderen als die Ideen von der politischen und religiösen Freiheit, nach deren Realisierung das gegenwärtige Zeitalter mit so großer Regsamkeit strebt; weshalb man auch dasselbe das Zeitalter der liberalen Ideen genannt hat. Eine liberale Constitution ist ebendaher eine Staatsverfassung, wodurch die politische und religiöse Freiheit der Bürger anerkannt und möglichst gesichert ist, mithin eine stellvertretende oder repräsentative.' Die Macht der liberalen Ideen sei 'keine andere als die der Vernunft selbst, des Urquells aller Ideen, folglich auch der liberalen. Die liberalen Ideen bekämpfen, heißt daher nichts anderes als die Vernunft selbst bekämpfen, also unvernünftig handeln.' Der Missbrauch, der zuweilen mit dem Worte Liberalität getrieben werde, könne 'die Liberalität oder Freisinnigkeit selbst nicht in Misskredit bringen'.4 Spätestens 1819 wurde die Bezeichnung Liberale auch auf die Freisinnigen in Deutschland angewandt, und gleichzeitig begegnete vereinzelt auch das Wort Liberalismus. Die Lexika nahmen das aber einstweilen noch nicht auf. Noch im Jahre 1830 wurde in der siebten Auflage des Brockhaus unter dem Stichwort 'Liberalität' wiederholt, was schon 1817 vorgetragen worden war. Jetzt aber hatte der Artikel einen sehr viel größeren Umfang und enthielt erstmals auch das Wort Liberalismus. An die Feststellung, die liberalen Ideen bekämpfen heiße die Vernunft bekämpfen, schloss der Autor die Bemerkung an, auch das Edelste werde entwürdigt, wenn es sich in den Dienst der Faktionen begebe, und nahm dann eine entschiedene Abgrenzung nach links vor. Es 'ist ein unechter ­Liberalismus, wenn man meint, dass Recht und Wahrheit schlechterdings nur durch die Zerstörung derjenigen Verfassungsformen gedeihen können, welche die Geschichte, und sagen wir lieber die Vorsehung, den Völkern als die eigentliche Bahn ihres öffentlichen Lebens vorgeschrieben hat.' Es sei unverständig, ja verbrecherisch, der natürlichen Entwicklung der Dinge vorzugreifen. Eindringlich warb der Autor für eine Politik der Reformen und legte dabei eingehend dar, was 'der echte Liberalismus' in politischer Beziehung fordere, 'daß die Gerechtigkeit sicher, die Wahrheit frei, die menschliche Würde auch im geringsten geachtet und die launenhafte Herrschaft der Willkür zu einer kraftvollen Herrschaft weiser Gesetze erhoben sei'. Die Monarchie müsse die Entstehungsur­sache ihrer Macht im Volk und dessen freiwilliger Unterwerfung sehen, ihr Gebieten 'nicht weiter ausdehnen als gerade notwendig ist, und dagegen sowohl dem freien sowohl einzelnen wie vereinten Willen der Bürger so viel als möglich überlassen'. Das erste aller liberalen Bedürfnisse der heutigen Völker sei es, dass unabhängig von der ­Regierung ein Rat bestehe, bestellt aus den Einsichtsvollen des Volkes, um die öffentlichen Angelegenheiten auch öffentlich zu erörtern.5 Fünf Jahre später wurde die Thematik in der achten Auflage des Brockhaus endlich unter dem Stichwort Liberalismus abgehandelt. Zunächst wurde hier von einem ­Liberalismus der Ideen gesprochen und dargelegt, dass alle Menschen zum Streben nach echter politischer und religiöser Freiheit verpflichtet seien. Die liberalen Ideen seien die stärkste und unwiderstehlichste Macht, die es gebe. ­Sodann kam der Autor auf den 'Liberalismus der Einrichtungen' zu sprechen und nannte Repräsentativverfassung, Presse­freiheit, Munizipalverfassung, Verantwortlichkeit der Staatsbeamten, öffentliche ­Rechtspflege und Rechtsgleichheit der Staatsbürger. Er beschrieb den ­Liberalismus als ­große Freiheitsbewegung, die sich mit Notwendigkeit vollzog, weil ihr Ziel von der Vorsehung vorgegeben war.6 Die Verfasser der eben zitier...

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