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Das Motel der vergessenen Träume

Erschienen am 15.02.2018
Auch erhältlich als:
Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783868277098
Sprache: Deutsch
Umfang: 382 S.
Format (T/L/B): 3.5 x 20.5 x 13.6 cm
Einband: Paperback

Beschreibung

Carmen ist eine beliebte Wetterfee im Fernsehen, verheiratet mit einem Traummann und lebt in einem Traumhaus. Zum vollkommenen Glück fehlt ihr nur noch ein Baby. Doch ein unbeherrschter Moment droht ihr das alles zu nehmen. Als Carmen sich in das Motel flüchtet, das seit Generationen ihrer Familie gehört, stößt sie auf ihre Halbschwester. Carmen bleibt keine Wahl, als die 17-Jährige bei sich aufzunehmen. Gemeinsam renovieren sie das alte Motel, dabei steigen Erinnerungen auf. Doch lassen sich zerbrochene Beziehungen genauso leicht reparieren wie zerbrochene Fenster? Und haben lang vergessene Träume tatsächlich die Macht, die Gegenwart zu ändern?

Autorenportrait

Katie Ganshert war Lehrerin, bis ihr der Durchbruch als Romanautorin gelang. Sie ist verheiratet und hat zwei Kinder. Für »Das Motel der vergessenen Träume« bekam sie in den USA einen Preis für den besten zeitgenössischen christlichen Roman des Jahres verliehen.

Leseprobe

Kapitel 1 Gracie Wenn man in einer Kleinstadt wie New Hope, Texas, aufwächst, gibt es den Luxus der Anonymität nicht. Ich war die Tochter von Evelyn Fisher, einer Frau, die für zwei Dinge bekannt war: dass sie oft das Spirituosengeschäft an der Ecke besuchte und dass sie sich jeden zweiten Sonntag im Fluss taufte. Als kleines Mädchen saß ich auf der Reifenschaukel unter unserer Eiche und malte mit dem großen Zeh Kreise in den Dreck, während ich zusah, wie meine Mutter sich im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes bekreuzigte, bevor sie in das Gewässer hineinstieg, das an unseren Garten grenzte. Ich weiß noch, dass das Kreuzzeichen mich mehr verwirrte als die eigentliche Taufe. Damals gingen wir in eine Baptistengemeinde, wo man so etwas nicht tat. "Man kann das Mädchen aus dem Katholizismus entfernen, aber nicht den Katholizismus aus dem Mädchen", sagte sie auf meine Nachfrage hin. "Ich weiß nicht, was das bedeutet." "Es bedeutet, dass man alte Gewohnheiten nur schwer ablegt, Gracie-Spätzchen." Das verstand ich. Denn sooft sie auch ihre Flaschen in die Spüle entleerte und in dem Fluss untertauchte, der Spirituosenschrank blieb nie lange leer. Natürlich waren wir hässliche Entlein in New Hope und die hässlichsten Entlein von allen in unserer Kirche. Nicht so sehr, weil Mama einen Rosenkranz in ihrer Handtasche bei sich trug oder während der Predigten weinte oder sich beim Segen bekreuzigte, sondern weil sie trank, und unser Pastor sagte, die Trinkerei sei so, als würde man mit dem Teufel tanzen. Eines Sonntags, als sie von Kopf bis Fuß patschnass auf unser Haus zukam, hielt ich meinen Reifen an und blinzelte sie durch die helle Nachmittagssonne an. "Warum tauchst du immer so im Fluss unter?" Sie blieb stehen, als würde sie mich zum ersten Mal sehen. Das kam oft vor - dass sie meine Anwesenheit vergaß. Für gewöhnlich musste ich schon in größere Schwierigkeiten geraten, damit sie sich an mich erinnerte. Mama beschirmte mit einer Hand ihre Augen. "Um neu gemacht zu werden, Kleines." Irgendwann gab sie die Taufen auf und beschloss, stattdessen einen Entzug zu machen. Mein viertes Schuljahr war gerade zu Ende, als sie mich für drei Monate bei meinem Vater absetzte. Als sie mich schließlich wieder abholte, waren alle unsere Habseligkeiten in den Kofferraum unseres rostigen alten Kombis gestopft. Wir verließen New Hope und fuhren nach Osten in eine Stadt namens Apalachicola in Florida. Meine Mutter bekam dort eine Anstellung als Kellnerin und ich ging in die Franklin High zur Schule. Ab diesem Zeitpunkt gab es keine Kirchenbesuche mehr. Und auch keine Taufen im Fluss. Das Einzige, was sich nicht änderte, war Mamas Tanz mit dem Teufel. Als mein Wecker ertönte, überkamen mich zwei diametral entgegengesetzte Gefühle. Erleichterung, weil dies mein letztes Jahr an der Franklin High war, und Angst, weil es erst der erste Tag dieses letzten Jahres war. Ich schlug mit der Hand auf mein Handy, damit es verstummte, und nahm den Stimmungsring von meinem Nachttisch; sein Stein hatte die Farbe eines Gewitterhimmels. Eigentlich glaubte ich nicht daran, dass der Ring meine Stimmung erspüren konnte, aber ich hatte ihn unter einem Kaubonbonpapier gefunden, als ich einen der vielen Straßengräben von Müll befreit hatte. Der Ring war ganz hübsch und sogar aus richtigem Silber - nicht wie die kitschigen Fünf-Dollar-Ringe, die man in Modeschmuckgeschäften wie Claire's kaufen konnte. Und er passte. Also hatte ich ihn sauber gemacht und eingesteckt. Mein einer, einziger Schatz aus einem Sommer voller Müll. Durch den schmalen Spalt zwischen dem fadenscheinigen Teppich und meiner Schlafzimmertür drang eine gedämpfte Unterhaltung herein - eine Männer- und eine Frauenstimme, die sich über einen Wasserrohrbruch in der Innenstadt von Tallahassee unterhielten. Das bedeutete, Mom war entweder a) schon wach und sah sich die Nachrichten an oder b) bewusstlos auf dem Sofa, während der Fernseher vom Abend zuvor noch lief. Wenn ich Gel