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Kurt Georg Kiesinger 1904-1988

Kanzler zwischen den Zeiten

Erschienen am 04.04.2006
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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783421058249
Sprache: Deutsch
Umfang: 896 S., 31 s/w Illustr.
Format (T/L/B): 4.6 x 22 x 15.5 cm
Einband: gebundenes Buch

Beschreibung

Kurt Georg Kiesinger (1904 -1988) war Bundeskanzler in einer Zeit des Umbruchs: Mit ihm endeten die ersten beiden, von CDU-Regierungen geprägten Jahrzehnte der Nachkriegspolitik. Seiner Kanzlerschaft folgten die sozialdemokratischen siebziger Jahre nach. Er war der Kopf einer Großen Koalition, die die erste tiefgreifende Krise der Bundesrepublik zu bewältigen hatte. Die Erinnerung an ihn bestimmt bis heute die Ohrfeige Beate Klarsfelds, die sie ihm wegen seiner NSDAP-Mitgliedschaft verpaßte. Das Leben Kurt Georg Kiesingers ist wie das kaum eines anderen Spitzenpolitikers der Bundesrepublik ein Spiegel des 20. Jahrhunderts. Geboren im Kaiserreich, Jurastudium in der Weimarer Republik, 1933 bis 1945 Mitglied der NSDAP. Nach 1949 christdemokratischer Rechts- und Außenpolitiker, Ministerpräsident von Baden-Württemberg und Kanzler. Er hat den demokratischen Wiederaufbau an entscheidender Stelle mitgeprägt.

Autorenportrait

Philipp Gassert, geboren 1965, ist Professor für Zeitgeschichte an der Universität Mannheim. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehört die internationale Geschichte des 20. Jahrhunderts, insbesondere die transatlantischen Beziehungen, sowie die deutsche und europäische Zeitgeschichte seit 1933.

Leseprobe

Einleitung: Kanzler zwischen den Zeiten Kaum einen Monat agierte Kurt Georg Kiesinger im Kanzleramt, da meldete sich Anfang Januar 1967 aus seinem Baseler Exil Karl Jaspers zu Wort. In einem Interview mit dem Fernsehmagazin 'Panorama' meinte der Philosoph, ein 'alter Nationalsozialist' an der Spitze des Bundeskabinetts sei nicht nur ein 'Affront gegenüber dem Ausland', sondern auch 'eine Beleidigung gegenüber der Minderzahl der Deutschen [.], die den Nationalsozialismus immer gehaßt haben und noch hassen'. Jaspers sah die düstere Prognose bestätigt, die er ein Jahr zuvor in seinem aufsehenerregenden Buch Wohin treibt die Bundesrepublik? aufgestellt hatte. Darin hatte er das Fortwirken ehemaliger Nationalsozialisten als 'ein Grundgebrechen der inneren Verfassung der Bundesrepublik' bezeichnet. Die prekäre innere und äußere Lage Westdeutschlands führte er darauf zurück, daß es den '500.000 Unbelasteten', die während des Nationalsozialismus 'stets ihr klares Urteil bewahrt' hätten, nach 1945 nicht gelungen sei, die Führung in Politik und Gesellschaft zu ergreifen. Vielmehr hätten ehemalige Nationalsozialisten nach einer gewissen Schamfrist 'wirksam und maßgebend' den Wiederaufbau betrieben und dadurch 'die freie Gestaltung unseres Staates' beeinträchtigt. Die Unbelasteten seien 'beiseite gedrängt [worden] oder mußten dulden, daß ihre Freiheitsidee nicht verwirklicht, sondern stillschweigend bekämpft wurde'. Jaspers' Angriff auf den Bundeskanzler blieb nicht unwidersprochen. Etwa eine Woche nach dem Panorama-Interview schrieb ihm ein alter Bekannter, der Mediziner Karl Heinrich Bauer. Mit Bauer, dem ersten Nachkriegsrektor der Heidelberger Universität, verband Jaspers die Erfahrung der nationalsozialistischen Diktatur und eine alte, 'auf vielen gemeinsamen Erlebnissen basierende Freundschaft aus der Zeit nach dem großen Umbruch 1945'. Wie Jaspers nahm Bauer für sich in Anspruch, 'jener Minderzahl der Deutschen' anzugehören, die sich unzweideutig gegenüber dem Regime verhalten hätten. Anders als Jaspers fühlte er sich aufgerufen, Kiesinger zu verteidigen. Bauer warf Jaspers vor, er habe Kiesinger Unrecht getan, als er ihn unter die 'alten Nazis' reihte. Er, Bauer, halte Kiesinger 'für einen Mann, der wohl geirrt, aber doch durch 20 Jahre täglicher Leistung bewiesen hat, daß ihm das Schicksal der Bundesrepublik nach seinen Qualitäten und Leistungen anvertraut werden darf. K. ist eine integre Persönlichkeit. [.] Er weiß von der Macht weisen Gebrauch zu machen und durch großen persönlichen Charme manche Schwierigkeit auszuschalten [.]. Es steht ihm ein großes Wissensgut gerade über die letzten Grundlagen der Demokratie zur Verfügung. Er gehört unbestreitbar zu der Kategorie von Menschen, denen man verzeihen muß, will man ihnen nicht Unrecht tun.' Bauer war nicht der einzige, der befremdet auf Jaspers harsches Urteil über Kiesinger reagierte. Der Diplomat und Schriftsteller Erwin Wickert, ein Jaspers-Schüler, war im Zweiten Weltkrieg als deutscher Rundfunkattaché in Shanghai und Tokio formal Kiesingers Untergebener im Auswärtigen Amt gewesen, woraus sich später eine persönlich-politische Freundschaft entwickelte. Seinem alten Lehrer Jaspers schrieb Wickert nach Basel, daß er dessen Urteil 'für ungerecht, simplifziert und falsch' halte. Jaspers werde mit der Auffassung von dem 'Affront', den die Ernennung eines 'alten Nazis' zum Bundeskanzler bedeute, 'weder Herrn Kiesinger noch der Situation gerecht'. Für ein Urteil über Kiesinger sei nicht relevant, meinte Wickert, 'ob er die Mitgliedskarte der NSDAP besaß oder nicht, sondern wie er dachte und wie er handelte. Und darüber scheint mir, nach allem, was ich weiß, kein Zweifel möglich zu sein. Sind die Vorwürfe, die einige schäbige Denunzianten aus Kiesingers Abteilung im Auswärtigen Amt während des Krieges der SS gegenüber erhoben und die der >Spiegel< kürzlich veröffentlichte, nicht ein entscheidenderes Dokument als die NSDAP-Mitgliedskarte?' Viele Nichtparteimitgl Leseprobe